6. ARB

Drittes Symposium zum Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

Am 19. April 2021 fand das Dritte Symposium zum Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht (6. ARB) als Videokonferenz statt. An die 100 Vertreterinnen und Vertreter des Beraterkreises, zu dem u.a. Sozial- und Wohlfahrtsverbände, die Sozialpartner, die Bundestagsfraktionen, Länder und verschiedene Bundeseinrichtungen gehören, sowie des Wissenschaftlichen Gutachtergremiums, nutzten diese Gelegenheit, den Berichtsentwurf politisch zu bewerten und sich mit Bundesminister Hubertus Heil über arbeitsmarkt- und sozialpolitische Fragestellungen auszutauschen.

Bereits am 14. April 2021 hatten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMAS mit diesen Begleitgremien detailliert über Inhalte und Ergebnisse des Berichtsentwurfs diskutiert.

Diese beiden Veranstaltungen schlossen den Prozess zur Begleitung der Berichtserstellung ab. Die Ergebnisse beider Teile der Veranstaltung sind im Folgenden gemeinsam dokumentiert. Zusammen mit Hinweisen aus den schriftlichen Stellungnahmen flossen sie wo möglich in den endgültigen Bericht ein und werden auch für eine mögliche Berücksichtigung im 7. ARB festgehalten.

Eingangsstatement von Herrn BM Heil beim 3. Symposium zum 6. ARB

Bundesminister Hubertus Heil würdigte in seinem Eingangsstatement die breite und engagierte Beteiligung am Erstellungsprozess: Diese zu ermöglichen sei für das BMAS ein besonderes Anliegen, denn die Beteiligung öffne wichtige Perspektiven und weite den Blick für neue Fragestellungen.

Im Folgenden äußerte er seine Sorge über die möglichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Gesellschaft und Arbeitsmarkt und drückte die Hoffnung aus, dass die Sozialschutzpakete der Bundesregierung vor allem für ärmere Bevölkerungskreise dauerhaft zur Abmilderung dieser Folgen beitragen werden.

BM Heil machte deutlich, dass insbesondere auch die Erkenntnisse aus der Zeit vor Einsetzen der Pandemie wichtige Hinweise für die Weiterentwicklung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geben. Dazu gehört, dass es gelingen kann, Lohnsteigerungen auch bei niedrigen Arbeitsentgelten ohne Beschäftigungsverluste durchzusetzen. Daraus ergebe sich eine weitere Aufforderung für die Aufwertung von Tätigkeiten z. B. im Dienstleistungs- und Pflegebereich. Gleichzeitig habe sich bestätigt, dass es für Aufstiege aus benachteiligten sozioökonomischen Lagen weiterer gesellschaftlicher Anstrengungen bedürfe. In der vergangenen Wahlperiode seien dazu mit verschiedenen Gesetzen die Bemühungen intensiviert worden

Beeindruckt zeigte sich BM Heil von dem Befund, dass die Menschen in Deutschland vielfach ein Auseinanderdriften der Gesellschaft in „Arm“ und „Reich“ fürchten und gleichzeitig für sich selbst und ihre Nachkommen zuversichtlich in die Zukunft schauen. Hieraus leitete er abschließend einen ausdrücklichen Auftrag an politisch Verantwortliche ab, sozialen und wirtschaftlichen Ausgleich zu befördern und zudem die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Menschen in Deutschland das Vertrauen in die ihnen gegebenen Zukunftschancen auch bestätigt finden.

Überblick über die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses zum 6. ARB

Die fachlich Verantwortlichen für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung im BMAS hatten vorab den Teilnehmenden einen Überblick über den bisherigen Verlauf des Beteiligungsprozesses, insbesondere über die Schwerpunkte der Stellungnahmen zum Berichtsentwurf, gegeben. Diese Rückmeldungen waren nach Wahrnehmung des BMAS von Anerkennung für den Beteiligungsprozess und die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen (Link zu den Foliensätzen des ersten Symposiums) geprägt.

Der Ansatz, Informationen zu Einkommen, Vermögen, Wohnsituation und Erwerbsintegration zu verbinden, um soziale Lagen zu identifizieren, sei vielfach als wichtiger Schritt in der Weiterentwicklung der Armuts- und Reichtumsberichterstattung bewertet worden. Die Untersuchung der Bedeutung der sozialen Infrastruktur, von Angeboten der Daseinsvorsorge und der regionalen Verfügbarkeit wurde ebenfalls als notwendige Ergänzung monetärer Analysen gesehen. Auch der stärkere Fokus auf die subjektive Sichtweise auf Verteilungsergebnisse und soziale Mobilität wurde positiv gewürdigt.
Bei allem Bedauern über die damit verbundene Verzögerung war die Entscheidung zustimmend aufgenommen worden, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie - soweit möglich - zu berücksichtigen.

Zu den häufiger genannten Kritikpunkten hatte gehört, dass die institutionelle Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrungen keinen Eingang in den aktuellen Bericht gefunden hat; stattdessen seien in einem für den Bericht in Auftrag gegebenen Interviewprojekt Personen mit Armutserfahrungen zu Wort gekommen. Das BMAS werde für die Zukunft gemeinsam mit der Nationalen Armutskonferenz an einem geeigneten Verfahren arbeiten.

Offen zeigten sich die Vertreter des BMAS unter anderem auch hinsichtlich der angemahnten Punkte einer stärkeren Behandlung von Kinder- und Altersarmut, der eingehenderen Analyse der sozialen Sicherungssysteme hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Armut zu vermeiden, und der Thematisierung der Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen - der sog. ‚verdeckten Armut‘ - sowie der sozialen Lage von Langzeitarbeitslosen. Das BMAS stellte verbindlich in Aussicht, zu prüfen, inwiefern diese Anliegen im nächsten Armuts- und Reichtumsberichtes stärker aufgegriffen werden können.

Austausch zur Bewertung der Ergebnisse und zur Identifikation von Handlungsfeldern für die Arbeits- und Sozialpolitik

Im Anschluss an die Eingangsstatements tauschten sich Herr BM Heil und die Vertreterinnen und Vertreter des BMAS mit den Begleitgremien weiter dazu aus, welche Handlungsfelder sich aus dem 6. ARB für die Arbeits- und Sozialpolitik ergeben und welche weiteren Erkenntnisbedarfe bestehen.

Die Vertreterinnen und Vertretern der Verbände und Institutionen aus verschiedensten politischen und gesellschaftlichen Bereichen nutzten die Gelegenheit zur persönlichen Stellungnahme, um die im Bericht enthaltenen Daten und Fakten des Berichts zu bewerten. Dabei wurde bei Anerkennung der allgemeinen Einkommenszuwächse und der großen Stabilität der Einkommensverteilung im Berichtszeitraum als zentrales Ergebnis des Berichts und gesellschaftspolitisches Problem die Verfestigung von Armut hervorgehoben.

Weitgehende Übereinstimmung herrschte insbesondere darüber, dass die Bildungsungleichheit zu bekämpfen und die Bedeutung des sozioökonomischen Hintergrunds als Einflussfaktor für Bildungserfolge zu verringern sei, um möglichst gleiche Bildungschancen zu schaffen. Dabei wurde auch die Förderung nachholender Bildung und Weiterqualifizierung als Handlungsbedarf ausgemacht.

Problematisiert wurde das Armutsrisiko für Beschäftigte, insbesondere von manchen atypisch Beschäftigten. Die Höhe, der Anpassungsmechanismus, aber insbesondere auch die Anwendung des gesetzlichen Mindestlohns waren in diesem Zusammenhang Gegenstand verschiedener Diskussionsbeiträge. Einzelne Rednerinnen und Redner forderten auch die Eindämmung bestimmter Beschäftigungsformen und wiesen auf eine möglichst hohe Tarifbindung als Grundvoraussetzung für die Durchsetzung angemessener Löhne hin.

Breiten Raum in der Diskussion nahmen Vorschläge zur Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme ein, wie die Rolle von Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die Höhe der Regelbedarfe, die Möglichkeit einer Kindergrundsicherung oder Anpassungen der Grundrente.

Die COVID-19-Pandemiekrise und ihre gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Folgen kamen vielfach zur Sprache. Auch wenn die Folgen für die Einkommens- und Verteilung noch offen seien, sei die besondere Betroffenheit mancher Bevölkerungsgruppen absehbar. Hier formulierten die Teilnehmenden Vorschläge aus ihren Arbeitsbereichen, wie weiter auf die Krise zu reagieren sei und Menschen davor bewahrt werden könnten, aufgrund der Pandemiekrise in soziale oder wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten oder ihre Zukunftschancen zu gefährden. Festgestellt wurde zudem, dass sich gerade in dieser Krisenzeit der Sozialstaat bewährt habe. Als besonders leistungsfähig erweise er sich dort, wo er auf etablierte Institutionen, Strukturen und Regelungen zurückgreifen konnte, darunter nicht zuletzt auch die funktionierende Sozialpartnerschaft.

Alle beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sahen weitreichende quantitative und qualitative Forschungsbedarfe, um die besonders von der Pandemie betroffenen Kreise (Personengruppen, Branchen und Berufsgruppen) identifizieren und Art und Umfang ihrer Krisenerfahrung beurteilen zu können.

Im Rahmen der Diskussion wurden zusätzlich auch weitere Erkenntnisbedarfe für die künftige Berichterstattung formuliert. Hierzu gehörten Forderungen, im nächsten ARB verschiedene besonders von Armut betroffener Gruppen noch stärker in die Betrachtung einzubeziehen.

Zudem sprachen sich die Fachleute dafür aus, strukturelle und institutionelle Gründe für die zunehmende Schwierigkeit, Armut zu überwinden, stärker in den Blick zu nehmen. Für die künftige Armuts- und Reichtumsberichterstattung wurden auch weitere Anforderungen an Analysestrategien und Datengrundlagen formuliert, so die nach einer länderspezifischen Analyse. Auch die Notwendigkeit, die Datengrundlage im Bereich hoher Ver- bzw. Überschuldung zu verbessern, wurde begründet.

Die vertretenen Verbände und Institutionen erkannten an, dass zahlreiche Anregungen und Hinweise zum 5. ARB im 6. ARB berücksichtigt worden seien. Im Ergebnis stelle der 6. ARB damit einen wichtigen Beitrag für den Fachdiskursund die Verbandsarbeit dar. Viele mahnten aber an, dass die stärkere Einbeziehung von Menschen mit Armutserfahrung auch in den Erstellungsprozess für die Berichterstattung unverzichtbar sei.

Antwort von Herrn BM Heil auf die Stellungnahmen

Bundesminister Hubertus Heil drückte an erster Stelle sein eigenes Bedauern darüber aus, dass die gewählte Form der Einbeziehung von Menschen mit Armutserfahrungen im aktuellen Bericht nicht allen Beteiligten ausreiche. Mit Bezug auf weitere Verbesserungsvorschläge für die Berichterstattung kündigte er die gezielte Förderung sozialpolitischer Forschung durch das BMAS an, die insbesondere auch weitere Erkenntnisse zu den Wirkungsketten in der Sozialpolitik erbringen soll.

Weitere Diskussionsbeiträge beantwortete und kommentierte Herr BM Heil sehr offen und begründete, warum auch er in der Grundsicherung für Arbeitsuchende Reformbedarfe erkenne. Da die Existenzsicherung ein Grundrecht darstelle, sei es wichtig, dass die Inanspruchnahme nicht als Stigma wahrgenommen werde, und die Leistung leichter und ohne die Sorge um die Angemessenheit des eigenen Wohnraums zugänglich sei. In der Pandemie habe sich bereits gezeigt, dass auch erleichterte Bedingungen nicht zu einem Ausufern der Antragszahlen führen. Das Grundsicherungssystem müsste zudem klarere Unterscheidungen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen treffen, insbesondere für Kinder, die keine „kleinen Langzeitarbeitslosen“ seien, sondern ein eigenes Recht auf Sicherung ihres Lebensunterhalts und ihrer Teilhabe hätten. Auch die Qualifizierungs- und Förderbedarfe der SGB II-Leistungsberechtigten müssten weiter konsequent angegangen werden.

Daneben verwies er auf sein Engagement für die Stärkung und Ausweitung der Sozialpartnerschaft und der Tarifbindung. Gleichzeitig beschrieb er Bereiche, in denen dieser Grenzen gesetzt seien, etwa in der Plattform-Ökonomie, für die geeignete rechtliche Regelungen geschaffen werden müssten. Eine faire Entlohnung sei auch deshalb wichtig, weil ein wirksamer und effizienter Sozialstaat nicht zuerst auf Umverteilung beruhe. Eine weniger ungleiche Primärverteilung mit guter Entlohnung sei die wichtigste Voraussetzung für darauf aufbauendes sozialstaatliches Handeln. Als weiteren wichtigen Bestandteil des Sozialstaats, der Selbstbestimmung, Teilhabe und Wohlstand ermöglichen soll, nannte er die soziale Infrastruktur - nicht nur, aber ganz besonders im Bildungsbereich.

Herr BM Heil äußerte sich zuversichtlich, dass die Corona-Krise in der Bevölkerung das Bewusstsein und insbesondere auch die Wertschätzung für die Handlungsfähigkeit des Sozialstaats gestärkt habe. Ein besonderes Anliegen war ihm in diesem Zusammenhang, diese Wertschätzung auch gegenüber den Beschäftigten in den handelnden Institutionen wie der Bundesagentur für Arbeit, den Jobcentern und den Gesundheitsämtern in den Kommunen, auszudrücken.

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