Erstes Symposium zum Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

Der Dialog mit der Fachöffentlichkeit hat für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen hohen Stellenwert

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, konnte am 12. Februar 2019 den Beraterkreis aus Vertreterinnen und Vertretern von Verbänden und Sozialpartnern, der Länder, der Bundestagsfraktionen und verschiedener Bundeseinrichtungen sowie das Wissenschaftliche Gutachtergremium begrüßen. Gemeinsam werden beide Gremien die Arbeit am Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung begleiten.

Die Begleitforschung spiegelt politische Anliegen wider

In seinem Grußwort hob Bundesminister Hubertus Heil hervor, wie wichtig die Zusammenarbeit mit dem Beraterkreis und dem wissenschaftlichen Gutachtergremium bei der Erstellung des 6. ARB ist. Als Thema, das ihm im 6. ARB besonders wichtig ist, nannte er allen voran die Verfestigung von materieller Armut, die genauer untersucht werden soll. Denn für die Sozialpolitik macht es einen Unterschied, ob Menschen lange von geringem Einkommen betroffen sind oder ob dies nur einen vorübergehenden Zustand darstellt. Als zweites Anliegen benannte Minister Heil, dass das Erleben und die Perspektive von Menschen mit Armutserfahrungen in der Armuts- und Reichtumsberichterstattung einen höheren Stellenwert erhalten sollen. Die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema Wohnungslosigkeit – welche auch durch Schaffung einer bundesweiten Statistik vorangetrieben werden soll – hob Minister Heil als drittes Themenfeld hervor. Außerdem stellte er weitere Verbesserungen der Datenlage zu Hochvermögenden in Aussicht.

Nermin Fazlic, Leiter der Abteilung "Grundsatzfragen des Sozialstaats, der Arbeitswelt und der sozialen Marktwirtschaft" des BMAS, ergänzte die Ausführungen von Herrn Bundesminister Heil und stellte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Konzept des Sechsten Armuts- und Reichtumsberichts und die begleitenden Forschungsvorhaben vor.

Forschungsvorhaben
DIW Hochvermögenden-Stichprobe
DIW Repräsentative Erhebung zur Wahrnehmung von Armut, Reichtum und Verteilung
G.I.S.S. Bremen Entstehung, Verlauf und Struktur von Wohnungslosigkeit und Strategien ihrer Vermeidung und Behebung
IAW / IZA / WZB Aktuelle und vergangene Entwicklung sozialer Mobilität im Lichte institutioneller und struktureller Rahmenbedingungen
IAW / Uni Tübingen Analyse der Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland (AVEV)
TH Köln Qualitative Untersuchung von subjektiven Ausprägungen und Dynamiken sozialer Lagen
Universität Bremen Soziale Lagen in mutlidimenstionaler Längsschnittbetrachtung
N.N. Analyse der Einstellungen zu Armut, Reichtum und Verteilung in sozialen Lagen in Deutschland
N.N. Gesellschaftliche und regionale Bedeutung von Daseinsvorsorge sowie Versorgung mit Dienstleistungen und Infrastruktur

Erste Ergebnisse der Begleitforschung konnten bereits präsentiert werden

Die Teilnehmenden erhielten Einblick in drei Forschungsprojekte, deren Ergebnisse in die Erstellung des 6. ARB einfließen werden.

Professor Olaf Groh-Samberg (Universität Bremen) stellte das Forschungsvorhaben "Soziale Lagen in multidimensionaler und Längsschnittbetrachtung" vor. Ziel des Vorhabens ist es, für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung herauszuarbeiten, inwiefern sich Benachteiligungen und Privilegierungen in verschiedenen Bereichen gegenseitig verstärken oder auch ausgleichen können. Zudem soll untersucht werden, wie stabil oder veränderlich eine materielle Lage ist. Hierzu wird die Analyse der Einkommenssituation durch die der Dimensionen "Erwerbsarbeit", "Vermögen" und "Wohnen" ergänzt. Unter anderem soll auf diese Weise die Frage beantwortet werden, ob und inwiefern sich in Deutschland materielle Armut zunehmend verfestigt.

Lebhaft war der anschließende Austausch dazu, wie die Unterschiede in den untersuchten Bereichen am sinnvollsten gemessen und bewertet werden können.

Professor Volker Busch-Geertsema und Jutta Henke (Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e.V.) präsentierten das Konzept und erste Ergebnisse des Forschungsprojekts "Entstehung, Verlauf und Struktur von Wohnungslosigkeit und Strategien ihrer Vermeidung und Behebung". Das Projekt trägt durch Befragungen kommunaler Einrichtungen und freier Träger der Wohnungslosenhilfe und (ehemals) Wohnungsloser eine breite Wissensbasis über Wohnungslosigkeit zusammen und wird daraus Handlungsempfehlungen an unterschiedliche Adressaten ableiten.

Das fachliche und sozialpolitische Interesse an dieser Thematik war groß. In der Diskussion wurde eine eingehendere Untersuchung der Themen "Sucht" und "Barrierefreier Wohnraum" im Zusammenhang mit der Wohnungslosenproblematik als wünschenswert angeregt. Auch wurde angeregt, die Regelungen zur Mietkostenübernahme und zum Kündigungsschutz zu überprüfen.

Professor Carsten Schröder (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) erläuterte die Zielsetzung und die Vorgehensweise beim Projekt "SOEP Hochvermögendenstichprobe". Diese Stichprobe soll die Datenlücke schließen, die daraus entsteht, dass Hochvermögende in repräsentativen Befragungen bislang untererfasst sind.

Das Forschungskonzept und seine technischen Details wurden umfassend diskutiert und hinsichtlich des innovativen und vielversprechenden Ansatzes umfassend gewürdigt. Außerdem verliehen die Teilnehmenden der Hoffnung Ausdruck, dass diese neue Stichprobe auch dauerhaft in das SOEP integriert werden kann.

Die Diskussion über Querschnittsthemen gibt wichtige Impulse

Ein besonderes Anliegen war es dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, frühzeitig dazu ins Gespräch zu kommen, wie Querschnittsthemen angemessen in der Berichterstattung berücksichtigt werden können. Hierzu trugen Mitglieder des Beraterkreises die Sicht ihrer Institutionen bei.

Angelika Zwering und Robert Trettin (Arbeitskreis Betroffene der Nationalen Armutskonferenz) stellten Vorschläge zur Stärkung der Betroffenenperspektive im 6. ARB und zur Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrung im Erstellungsprozess vor. Sie begrüßten, dass Armutsbetroffene zunehmend in den Erstellungsprozess des ARB eingebunden werden. Dies verbanden sie mit der Mahnung, dass Menschen mit Armutserfahrung sich selbst in dem Bericht wiedererkennen und sie würdig behandelt werden müssen. Sie betonten, wie wichtig es sei, dass gesellschaftliche Wertschätzung sich nicht nur an den Kategorien Erwerbstätigkeit und Einkommen orientiere. Sie forderten nicht-stigmatisierende, klar nachvollziehbare Darstellungen sozialer Lagen und eine verständliche Sprache. Zur Vertiefung der Zusammenarbeit schlugen Frau Zwering und Herr Trettin vor, einen Arbeitskreis von Menschen mit Armutserfahrung zu bilden und einen regelmäßigen Austausch mit dem BMAS und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Begleitgutachten zu organisieren. Darin liege nicht zuletzt auch eine Möglichkeit, die politische Mitbestimmung der Menschen mit Armutserfahrung zu verbessern.

Für ihre Darstellungen erhielten Frau Zwering und Herr Trittin breite Unterstützung. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass an einem Arbeitskreis beteiligte Personen die Vielfalt von Menschen mit Armutserfahrungen möglichst gut widerspiegeln sollten, um entsprechend unterschiedliche Sichtweisen einbringen zu können.

Dr. Valentin Aichele (Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte) war eingeladen, zu beleuchten, wie die Normen der UN-Behindertenrechtskonvention in den 6. ARB einfließen könnten. Sein Vortrag "Querschnittsthema: Menschen mit Behinderungen" enthielt Überlegungen, wie der ARB in seinen Darstellungen den Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen besser gerecht werden könnte.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmern griffen in der anschließenden Diskussion die Frage auf, wie die Erkenntnislage über die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen verbessert werden könnte. Dazu gehört unter anderem, wie verschiedenartige Behinderungen bzw. die für die einzelnen Menschen damit verbundenen Formen der Einschränkungen sinnvoll in dem Bericht analysiert werden könnten.

Xaver Ketterl (Volkssolidarität-Bundesverband) ging der Frage nach: "(Fast) 30 Jahre Deutsche Einheit: Welche Ost-West-Unterschiede müssen im Fokus des ARB bleiben?" Anhand von Vergleichen zwischen den jeweiligen Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland befand er, dass Analysen in der Armuts- und Reichtumsberichterstattung weiterhin eine Unterscheidung nach Ost und West erfordern. Dies würde auch durch die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt von Professor Groh-Samberg unterstrichen, wonach die Verfestigung von Armut in Ostdeutschland deutlich stärker ausgeprägt sei als in Westdeutschland.

Die Teilnehmenden äußerten Zustimmung zu der Problemsicht. Allerdings wurde angemerkt, dass zu einer vollständigen Einschätzung auch der Blick auf die Verbesserungen, die im Osten bislang erreicht worden seien, gehört.

Valentin Persau (AWO-Bundesverband) stellte in seinem Beitrag zu Lebenslagen und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen die AWO-ISS Kinderarmutsstudie vor. In dieser Langzeitstudie wurden und werden (ehemalige) Kinder bzw. ihre Familien sowie Erzieherinnen und Erzieher aus AWO-Tagesstätten in benachteiligten Stadtteilen seit über fast 20 Jahren wiederholt befragt. Die Studie soll Fördermöglichkeiten und andere Faktoren herausarbeiten, mit denen sich längerfristige Folgen von Benachteiligung bei Kindern vermeiden oder verringern lassen.

Das Ziel, Hilfestrukturen zu beleuchten und wirksame Interventionen erkennbar zu machen, wurde in der Diskussion sehr begrüßt. Die Teilnehmenden betonten, dass für die Evaluation von Maßnahmen für Kinder und Jugendliche immer auch der Familienkontext im Blick behalten werden müsse.

Der intensive Austausch zeigte Gemeinsamkeiten auf und wird im Begleitprozess fortgesetzt werden

Die Vorträge sowohl zu den Forschungsarbeiten als auch zu den Querschnittsthemen am Nachmittag wurden konstruktiv diskutiert. Dabei zeigten sich viele Gemeinsamkeiten und Ansatzpunkte für die Bearbeitung im 6. ARB. Dazu gehört, dass nach Auffassung sowohl vieler Verbände als auch der Wissenschaft der 6. ARB das Thema der Diskriminierung stärker beleuchten sollte. Dies sei sowohl im Hinblick auf Gender Mainstreaming als auch den Migrationshintergrund dringend erforderlich.

Das BMAS wird den Dialog mit dem Wissenschaftlichen Gutachtergremium und dem Beraterkreis in weiteren Fachveranstaltungen fortsetzen. Das zweite Symposium wird voraussichtlich Ende 2019 stattfinden und weitere Forschungsergebnisse der ARB-Begleitforschung thematisieren. Am Ende des Prozesses soll der Berichtsentwurf mit den beiden Gremien diskutiert werden.