7. ARB

Erstes Symposium zum Siebten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

Bundesminister Heil diskutierte mit Verbänden und Wissenschaft über Schwerpunkte des Siebten Armuts- und Reichtumsberichts

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, konnte am 22. Mai 2023 den Beraterkreis aus Vertreter*innen von Verbänden und Sozialpartnern, der Länder, der Bundestagsfraktionen und verschiedener Bundeseinrichtungen sowie das Wissenschaftliche Gutachtergremium begrüßen. Gemeinsam werden beide Gremien die Arbeit am Siebten Armuts- und Reichtumsbericht (7. ARB) der Bundesregierung begleiten.

BMAS / Baller

Teilnehmer*innen des Ersten Symposiums zum Siebten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, darunter Bundesminister Hubertus Heil (Mitte), gemeinsam mit Vertreter*innen von Verbänden, Sozialpartnern und Wissenschaftlern.

In seinem Grußwort hob Bundesminister Hubertus Heil die Rolle des ARB als Impulsgeber für sozialpolitisches Handeln hervor. Die Befunde des 6. ARB zur Verfestigung sozialer Risiken im unteren Bereich der Verteilung hätten beispielsweise die Dringlichkeit aufgezeigt, mit der Bürgergeld-Reform auch einen Paradigmenwechsel hin zum Ziel einer langfristigen Arbeitsmarktintegration vorzunehmen. Der 7. ARB müsse sich nun besonders mit den sozialen Folgen der Pandemie und der Energiepreiskrise, aber auch der sozial-ökologischen Transformation widmen. Dabei betonte Bundesminister Heil, dass die aktuellen Preissteigerungen die Schwächsten in der Gesellschaft am stärksten träfen. Bei der Erstellung des 7. ARB würden außerdem wichtige Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, etwa die Erforschung der Motive und Hintergründe für die Nichtinanspruchnahme von Mindestsicherungsleistungen und eine stärkere Einbindung von Menschen mit Armutserfahrung. Unter dem Motto "Armut?! Das geht uns alle an!" werde in Kürze ein Beteiligungsprozess starten. Bundesminister Heil bat dafür die im Beraterkreis vertretenen Verbände und Institutionen um Unterstützung bei der Bekanntmachung des Prozesses.

Dr. Susanne Blancke, Leiterin der Unterabteilung "Zukunft der sozialen Marktwirtschaft und des Sozialstaats, Digitale Transformation" des BMAS, ergänzte die Ausführungen des Ministers und stellte den Teilnehmer*innen das Konzept des Siebten Armuts- und Reichtumsberichts und die begleitenden Forschungsvorhaben vor.

Forschungsvorhaben

  • Analyse der Einkommensverteilung vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie (IAW)
  • Vermögensaufbau in Deutschland (DIW)
  • Soziale Mobilität: Lebensverlaufs- und Kohortenanalysen
    • Los 1: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Einkommen und Erwerbsbeteiligung, wichtige Einflussfaktoren und Ereignisse (ZEW)
    • Los 2: Entstehung und Bedeutung der sozialen Lage im Lebensverlauf (SOCIUM an der Universität Bremen)
  • Nichtinanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen – Motive und Hintergründe (ISG)
  • Maßnahmen zur Reduzierung der Nichtinanspruchnahme von Mindestsicherungsleistungen - Ein internationaler Überblick (RWI)
  • Wahrnehmung von Armut und Reichtum und Einstellungen zu Verteilungsfragen, basierend auf dem ARB-Survey 2023 (DIW Econ / infas)
  • Organisation, Durchführung und Dokumentation der Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrungen am Erstellungsprozess des Siebten Armuts- und Reichtumsberichts (ORBIT)

In der anschließenden Diskussion wurde breite Unterstützung für die gewählten Schwerpunkte deutlich. Viel Aufmerksamkeit erhielten das Thema "verdeckte Armut" und die damit verbundenen Forschungsvorhaben, wobei verschiedene Aspekte des Forschungsansatzes diskutiert wurden. Die Teilnehmenden unterstrichen zudem die Bedeutung einer eingehenden Betrachtung der sozialen Folgen der Pandemie, der Entwicklung der Vermögensverteilung sowie der Lebenslagen von Menschen mit Migrationserfahrung. Auch die Chancen und Risiken der ökologischen Transformation näher zu beleuchten, wurde als wichtiges Thema für den ARB anerkannt.

Erste Ergebnisse der Begleitforschung konnten bereits präsentiert werden

Die Teilnehmenden erhielten Einblick in drei Forschungsprojekte, deren Ergebnisse in die Erstellung des 7. ARB einfließen werden.

Prof. Dr. Holger Stichnoth (ZEW) stellte das Forschungsvorhaben "Soziale Mobilität: Lebensverlaufs- und Kohortenanalysen" vor. Es soll unter Verwendung geschlechter-ökonomischer Ansätze analysiert werden, wie sich Einkommen und Erwerbsbeteiligung in den Biografien von Frauen und Männern verschiedener Geburtskohorten in Deutschland entwickelt haben, wobei auch die Rolle wichtiger Einflussfaktoren und (erwerbs-)biografischer Ereignisse untersucht wird.

In der anschließenden Diskussion regten die Teilnehmenden an, die Einkommens- und Erwerbssituation von Menschen mit Behinderungen, eine differenzierte Betrachtung von Teilzeittätigkeit, die Einflussfaktoren auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern sowie die Auswirkung längerer Erwerbsunterbrechung auf Karriere und langfristige Einkommensaussichten zu berücksichtigen.

Dr. Charlotte Bartels und Viola Hilbert (DIW) präsentierten das Konzept und erste Ergebnisse des Forschungsprojektes "Vermögensaufbau in Deutschland - Aktuelle Trends und Treiber". Darin analysieren sie die Vermögensentwicklung in der deutschen Bevölkerung zwischen 2002 und 2017 sowie die relative Bedeutung von Vermögenspreisen (z.B. Immobilienpreisen) für Vermögensaufbau, untersuchen die für intragenerationale Vermögensmobilität relevanten Faktoren und setzen die (regionale) Entwicklung der Immobilienpreise einerseits sowie des Arbeitsmarktes andererseits.

Das Forschungskonzept und sein methodischer Ansatz des maschinellen Lernens wurden anschließend erörtert und dabei auch grundsätzliche Fragen zum Verständnis von Vermögen und Reichtum diskutiert. Dabei wurde auch auf die Bedeutung von Unternehmensbesitz hingewiesen.

Ines Morgenstern (Orbit) erläuterte die Zielsetzung und die Vorgehensweise beim Beteiligungsprozess von Menschen mit Armutserfahrung. Geplant sei, über eine Onlinekampagne, Onlinebefragung, Beteiligungsforen und Fokusgruppen diverse Zugänge für die heterogene Zielgruppe von Menschen mit Armutserfahrung und Akteur*innen zum Beteiliungsprozess zu schaffen. Über die Kampagne und Onlinebefragung solle der Beteiligungsprozess in die Breite getragen werden. Die Beteiligungsforen, von denen zwei in Präsenz und eines Online stattfinden, richteten sich an Akteur*innen und organisierte Betroffenengruppen. Die Fokusgruppen-Interviews mit Menschen mit Armutserfahrungen mit jeweils thematisch unterschiedlichen Problemlagen böten geschützte Räume, um Erfahrungen, Einschätzungen und Wünsche zu äußern. Frau Morgenstern warb bei den Anwesenden um Unterstützung der Kampagne durch die Organisationen der Teilnehmer*innen.

Die Teilnehmenden lobten den Beteiligungsprozess und gingen auf einzelne Aspekte der Vorgehensweise vertieft ein. Dabei standen Vor- und Nachteile von Onlineformaten, die Wahl der Fokusgruppen, der Umgang mit den Ergebnissen und die Rückkopplung mit den Beteiligten sowie eine mögliche Einbindung von Menschen mit Armutserfahrung bei der Konzeption im Mittelpunkt.

Sozialpolitische Schlaglichter aus Beraterkreis und Wissenschaftlichem Gutachtergremium geben wichtige Impulse

Ilknur Gümüs (IBBC - Interkulturelles Beratungs- und Begegnungs-Centrum e. V.) und Dr. Joachim Rock (Paritätischer Gesamtverband e. V.) gaben Einblick in die Lebenslagen von Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung. Beide Vortragenden betonten die besonderen Herausforderungen, mit denen sich diese Personen bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen konfrontiert sähen. So stelle nicht nur die mangelnde Sprachkompetenz eine Hürde bei der Antragstellung dar, sondern auch fehlende Kenntnisse der behördlichen Strukturen, Zuständigkeiten und Prozesse. Dr. Rock verwies darüber hinaus auch auf die fehlenden Daten zur Gesundheitslage sowie zu Personen in sozialen Einrichtungen, zu denen als größte Gruppe Menschen in Altenheimen zählten. Frau Gümüs wusste durch die Arbeit ihres Vereins zu berichten, dass bei der Aufnahme von Geflüchteten eine Behinderung nur selten identifiziert würde und dass Geflüchtete mit Behinderungen Einschränkungen beim Zugang zu Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation erfahren.

Zahlreiche Wortbeiträge in der anschließenden Diskussion bestätigten die dargestellten Herausforderungen. So würden sich manche Bedarfe - etwa die von geflüchteten Menschen mit Behinderungen - mangels Kenntnis über bestehende Ansprüche oder aufgrund von Scham kaum in Antragszahlen niederschlagen, sondern häufig nur bei der Arbeit vor Ort sichtbar werden. Entscheidend für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen sei, wie der Zugang zu ihnen durch eine gute Verankerung vor Ort ermöglicht werde.

Dr. Kristine Görgen (Tafel Deutschland e. V.) berichtete über die Arbeit der rund 960 Tafeln in Deutschland, die zu über 90 Prozent von ehrenamtlichen Mitarbeitenden geleistet wird. Besonders deutlich wurden die wachsenden Herausforderungen, denen sich die Tafeln durch die multiplen Krisen gegenübersehen. So würde die Zahl der Kund*innen immer größer, während gleichzeitig die Lebensmittelspenden einen deutlichen Rückgang verzeichneten. Darüber hinaus habe auch die Zahl der Ehrenamtlichen während der Pandemie abgenommen.

Die Teilnehmenden des Symposiums würdigten in der anschließenden Diskussion die Arbeit der Tafeln und äußerten Zustimmung zu der Problemsicht, dass diesen ungewollt eine immer zentralere Rolle bei der Linderung von Armut zukomme, obwohl klar sei, dass sie die Funktion der Mindestsicherungssysteme weder ersetzen könnten noch sollten.

Dr. Judith Niehues (IW) und Dr. Dorothee Spannagel (WSI) beleuchteten die aktuellen Entwicklungen von Inflation, Kaufkraft und Löhnen, wobei sie nach geteilter Analyse unterschiedliche Empfehlungen aussprachen. Niehues gab Einblicke in die Inflationsentwicklung nach Gütergruppen, Haushaltstypen und Einkommensgruppen im letzten Jahr. Der Entwicklung gebe aber Hoffnung, dass der Höhepunkt der Inflation überschritten sei. Zukünftige Lohnforderungen müssten durch Produktivitätssteigerungen begründet sein, sonst drohe eine Lohn-Preis-Spirale. Der Staat könne aber durch zielgerichtete Entlastung helfen. Spannagel zeichnete die Lohnentwicklung der letzten Jahre unter Berücksichtigung der Preisentwicklung nach und hob dabei die Bedeutung des Mindestlohns hervor. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale sei nicht erkennbar, da die Reallohnentwicklung absehbar moderat verlaufen werde. Vielmehr sorgte die Belastung von Haushalten mit geringen Einkommen einerseits und die Gewinnmitnahmen von Top-Unternehmen sowie ein Anwachsen von Spitzenreichtum andererseits für die Gefahr einer zunehmenden sozialen Spaltung.

Der intensive Austausch zeigte Gemeinsamkeiten auf und wird im Begleitprozess fortgesetzt werden

Die Vorträge sowohl zu den Forschungsarbeiten als auch zu den sozialpolitischen Schlaglichtern am Nachmittag wurden konstruktiv diskutiert. Insgesamt zeigte sich große Übereinstimmung hinsichtlich der drängendsten Fragen und Problemstellungen, die im 7. ARB thematisiert werden sollten.

Das BMAS wird den Dialog mit dem Wissenschaftlichen Gutachtergremium und dem Beraterkreis in weiteren Fachveranstaltungen fortsetzen. Das zweite Symposium wird voraussichtlich Anfang 2024 stattfinden und weitere Forschungsergebnisse der ARB-Begleitforschung thematisieren. Am Ende des Prozesses soll der ressortabgestimmte Berichtsentwurf mit den beiden Gremien diskutiert werden, um noch Anregungen und Hinweise aufzunehmen.